Rasen glitschig, Ball zu hart

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielt in Nürnberg 1:1 gegen abgezockte Litauer und muss nun um die direkte Qualifikation für die EM in Portugal bangen. Dafür gibt es natürlich gute Gründe, vor allem aber Ausreden

aus Nürnberg FRANK KETTERER

Vor dem Spiel, als die Stimmung noch lustig war im Nürnberger Frankenstadion, wurde Oliver Bierhoff gebeten, eine Prognose abzugeben für den weiteren Verlauf des Abends. Bierhoff hat ja vor ein paar Jahren in England mal ein ziemlich wichtiges Tor geschossen, was ihm viel Sympathien eingebracht hat und fast so viele Werbeverträge, nun, da seine Karriere sich gen Ende neigt, reist er als Grußonkel für den gerade eben gegründeten Fan-Club der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit den alten Kameraden durch die Lande. Wie die Partie gegen Litauen ausgehen werde, wurde der Alt-Stürmer also gefragt, worauf Bierhoff sein smartestes Bierhoff-Lächeln aufsetzte und sagte: „Ich sach mal 4:0 für uns. Wenn ich auf Unentschieden tippen würde, wäre das doch traurig.“

Nach dem Spiel, als die Stimmung längst traurig geworden war, wurde dann Rudi Völler befragt. Auch Völler war ja mal Stürmer, hat ein paar wichtige Tore geschossen für Deutschland, bevor er dann eher durch Zufall Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wurde und letzten Sommer in Asien sogar ein Held. Auch Herr Völler kann nett lächeln, jetzt aber sah er eher zerzaust aus und noch mehr zerknirscht. Rudi Völler sagte: „Wir haben zwei wichtige Punkte eingebüßt. Das tut weh.“ Das EM-Qualifikationsspiel gegen Litauen war zuvor mit 1:1 zu Ende gegangen. Das ist ein lupenreines Unentschieden.

Und es wurde von allen Beteiligten, zumindest auf deutscher Seite, als todtraurig empfunden. „Das ist natürlich eine Katastrophe“, stellte Jörg Böhme fest, den Völler ziemlich überraschend auf der linken Seite aufgeboten hatte. „Die Enttäuschung ist riesengroß“, fand auch Stürmer Miroslav Klose, der zwar viel gelaufen war, dabei aber nur selten wirklich gefährlich wurde. „Das ist eindeutig zu wenig“, empfand wiederum Carsten Ramelow, nach nur acht Minuten Schütze des 1:0, erzielt per Hacke – und durchaus „gewollt“, wie der Leverkusener anschließend nicht zu betonen vergaß.

Zu diesem Zeitpunkt war die Welt ja auch noch in Ordnung, wie später unisono konstatiert wurde. „Da haben wir sehr, sehr gut Fußball gespielt“, fand auch Rudi Völler, der Teamchef, während Stürmer Klose glaubte, dass man in dieser schwungvollen Anfangsphase durchaus bemerkt habe, „dass wir im Kopf hatten, die Litauer kaputtzumachen“. Das war nicht böse gemeint, sondern nur so, wie es alle erwartet hatten vom Vizeweltmeister. Litauen ist schließlich 104. der Fifa-Weltrangliste. Man nennt das Fußballzwerg. Warum die deutsche Mannschaft ihr Vorhaben nach 20 Minuten einstellte, wird aber eines der großen Geheimnisse dieses lauen Frühlingsabends bleiben. Die Lüftung dessen geriet den meisten zur Flucht in Ausreden.

„Es ist schwierig, gegen eine so kompakt stehende Mannschaft zu spielen“, sagte etwa Carsten Ramelow. „Es war zu viel Angst im Spiel. Angst vor der Niederlage. Wenn du so Angst hast, passiert es erst recht“, ergänzte Oliver Kahn. Warum es erst nach der eigentlich beruhigend wirkenden Führung passierte, sagte der Torhüter nicht, kaum weiter erhellend war auch der Hinweis auf die „Spieler in der Hinterhand“, die diesmal verletzt gefehlt hätten, beispielsweise Michael Ballack oder Jens Jeremies. Stürmer Klose wiederum waren „die Räume zu eng“, „der Ball zu hart“ und „der Rasen zu glitschig“. Der Pfälzer hat das wirklich gesagt – und wahrscheinlich auch noch so gemeint. Übertroffen wurde er dabei noch von Fredi Bobic. „Das ist eine abgezockte Truppe“, urteilte der Sturmpartner über die Litauer. Was Bobic nun wirklich nicht wissen konnte: Die Kicker aus dem Baltikum mussten nicht nur auf drei ihrer Leistungsträger verzichten, sondern agierten in diesem Spiel erstmals mit Viererkette. Sonderlich abgezockt klingt das nicht. Gänzlich uncool wirkte indes, dass Teamchef Völler dem Schiedsrichterassistenten die Schuld in die Schuhe schieben wollte für das als Blamage empfundene Remis. „Eine Sauerei“ sei es gewesen, dass der in der 71. Minute einen Ball im Toraus gesehen, der sich dort gar nicht befunden habe, weil von Bobic noch von der Linie gekratzt und von Bernd Schneider schließlich ins Tor geschoben, was man erst später im TV genau sehen konnte. Es wäre das 2:0 für Deutschland gewesen. Es wäre der sichere Sieg gewesen, wie alle fanden, am Ende sogar die Litauer.

Vielleicht aber hätten Völler und seine Burschen auch besser daran getan, über die Tatsachen dieser Partie zu sprechen als über ihre Eventualitäten. Darüber zum Beispiel, dass weder Schneider noch Torsten Frings den verletzten Michael Ballack als Spielmacher zu ersetzen vermochten und das deutsche Spiel schon dadurch führungslos vor sich hintrieb. Oder darüber, dass auch Didi Hamann, bei der WM noch großer Stratege, dem Spiel diesmal kaum Impulse nach vorne geben konnte. Oder einfach nur darüber, dass es erstaunlich viele Fehlpässe gab und Unzulänglichkeiten auch in der Ballbehandlung, die kaum vizeweltmeisterlich anmuteten. Vielleicht hat Rudi Völler das alles ja auch alles bemerkt und war deshalb so zerknirscht. Gesagt hat der Teamchef: „Das Unentschieden war nicht unverdient.“ Das wiederum ist die traurige Wahrheit.

Deutschland: Kahn - Frings, Friedrich, Wörns, Rau (82. Freier) - Ramelow, Hamann - Schneider, Böhme (46. Rehmer) - Klose, Bobic (72. Kuranyi)Litauen: Stauce - Semberas, Zvirgzdauskas, Dedura, Barasa - Morinas, Razanauskas, Petrenko (87. Dziaukstas/), Pukelevicius (46. Maciulevicius), Mikalajunas - Jankauskas (90. Fomenko)Zuschauer: 40.754; Tore: 1:0 Ramelow (8.), 1:1 Razanauskas (73.)